Der Geist der Weihnacht

Die Wochen vor Weihnachten sind für viele wie ein Wirbelwind, viele Termine, Erwartungen, Vorbereitungen, Geschenke und Familienpläne. Und manchmal spüren wir oft erst in der Stille des späten Abends, dass genau das, was wir eigentlich suchen, dabei verloren geht.

Ein Moment des Friedens.
Ein Atemzug.
Ein Funke von Magie.

Doch dieser Funke ist nicht verschwunden, er wartet nur darauf, wiederentdeckt zu werden.
In alten Zeiten war der Dezember kein Monat des Konsums, sondern ein Monat der Einkehr. Die Natur zieht sich zurück, die Nächte werden länger, das Licht knapper und die Menschen damals lauschten. Der Winter war eine Einladung, innezuhalten, sich um das Feuer zu versammeln, Geschichten zu teilen und dem Heiligen in allem Raum zu geben.

Die Wintersonnenwende, die dunkelste Nacht des Jahres, wurde gefeiert als Neubeginn, ab hier kehrt das Licht zurück. Ein uraltes Symbol dafür, dass selbst die tiefste Dunkelheit nicht ewig dauert.
Die Rauhnächte galten als Schwellenzeit. Eine Zeit zwischen den Jahren, in der die Schleier dünner wurden, Träume Botschaften trugen und man die Weichen für das kommende Jahr stellte. Es war eine Zeit des Räucherns, des Loslassens, der Ahnenverbindung und der tiefen Stille.
Heute sehnen wir uns mehr denn je nach genau dieser Stille. Nach einem Raum, in dem wir wieder spüren können, was uns heilig ist. Vielleicht ist es ein Familienritual, das wir längst vergessen haben. Vielleicht eine kleine Kerze, die wir jeden Abend entzünden, oder ein Spaziergang im Wintergrau, bei dem wir bewusst hören, wie die Welt leiser wird.
Um uns daran zu erinnern, was der „Geist der Weihnacht“ wirklich bedeutet, möchte ich Dir eine kleine Geschichte erzählen.

 

Die Laterne der alten Frau

Es war einmal ein kleines Dorf am Rand eines verschneiten Waldes. Dort lebte eine alte Frau, von der man sagte, sie könne das Licht im Herzen der Menschen sehen. Jedes Jahr, kurz vor der Wintersonnenwende, stellte sie eine Laterne vor ihre Tür. Niemand wusste genau, warum.
Eines Abends, als ein junger Mann von der Arbeit kam, blieb er vor der Laterne stehen. Er war müde, erschöpft, und in seinem Herzen war ein schweres Gefühl von zu viel Druck, zu viel Erwartung und von zu viel Festlichkeit, die sich gar nicht festlich anfühlte.
Die Tür öffnete sich, und die alte Frau lächelte ihn an.
„Setz dich zu mir ans Feuer“, sagte sie. „Du trägst eine Dunkelheit in Deinen Gedanken, die nicht Dir gehört.“
Verwundert folgte er ihr. Der Raum war warm, schlicht und voller Ruhe. Kein Lärm, kein Duft von Hast, kein glitzernder Überfluss nur ein Knistern im Kamin.
„Warum stellst du die Laterne raus?“, fragte er.
„Weil jeder von uns manchmal den Weg zurück zum Licht vergisst“, antwortete sie. „Und ich möchte, dass die Menschen wissen, es gibt immer ein Zuhause in der Stille man muss nur anklopfen.“
Der junge Mann saß lange schweigend dort, bis er spürte, wie sich in seiner Brust etwas löste. Als er sich verabschiedete, drückte die alte Frau ihm die Laterne in die Hand.
„Nimm sie“, sagte sie. „Und stell sie vor Deine Tür, wenn Du bereit bist, das Licht weiterzugeben.“
Viele Jahre später, als die Frau längst nicht mehr im Dorf lebte, brannten an jedem Haus kleine Laternen. Ab jetzt erinnerte sich jeder daran wie gut es tat, einen Moment der Stille geschenkt zu bekommen.

Vielleicht brennt auch in Dir eine solche Laterne mit dem Herzenswunsch Weihnachten wieder anders zu erleben.
Diese Zeit lädt uns ein, alte Traditionen wiederzubeleben, Rituale zu ehren, uns selbst ein wenig Ruhe zu gönnen und die Stille zu suchen, bevor das neue Licht geboren wird.
Möge der Geist der Weihnacht Dich in diesem Jahr auf sanften Füßen finden und Dir zeigen, dass das Wertvollste nicht laut, sondern leise ist.

Ich wünsche Dir ein Fest des Friedens mit viel Licht in Deinem Herzen.

Gabriele Baum