Das Schulsystem im Kanada

 

Wer mit Kindern nach Kanada auswandert oder selbst als junge Erwachsene nochmal zur Schule geht oder studiert, wird schnell merken, dass die Schule dort ganz anders funktioniert als in Deutschland. Nicht unbedingt besser oder schlechter, aber anders. Menschlicher, flexibler, manchmal überraschend einfach, manchmal auch herausfordernd auf eine ganz neue Weise.

Schon der Aufbau ist anders. In Kanada gibt es keine Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Alle Kinder und Jugendlichen gehen gemeinsam auf die Elementary School (ca. Klasse 1–6), danach auf die High School (bis Klasse 12, in Québec bis Klasse 11 + College). Es wird weniger sortiert, weniger verglichen, mehr gemeinsam gemacht. Das kann für deutsche Kinder eine echte Erleichterung sein, besonders für die, die im deutschen System unter Druck gelitten haben.

 

Noten? Gibt es – aber anders.

Kanadische Schulen bewerten oft in Prozent oder mit Buchstaben (A, B, C, D, F). Aber nicht jede Klassenarbeit zählt gleich schwer. Es geht mehr um Projekte, Präsentationen, Mitarbeit. Und manchmal das hat mich bei meinen Enkelkindern besonders berührt auch um Charakterentwicklung. Kinder werden dazu ermutigt, über ihr Verhalten nachzudenken, über Respekt, Mitgefühl, Gemeinschaft. Werte wie Hilfsbereitschaft, Rücksicht und Eigenverantwortung sind fester Bestandteil des Lernens.

 

Fördern statt aussortieren

Viele Schulen bieten sogenannte „Learning Support“-Programme an, also gezielte Hilfe für Kinder, die Schwierigkeiten haben. Aber ohne Stigma. Es wird nicht peinlich gemacht, wenn jemand extra Förderung braucht. Im Gegenteil, es ist völlig normal, sich helfen zu lassen. Und es gibt viele Möglichkeiten, kreativ zu lernen, mit Kunst, Theater, Naturprojekten oder digitalem Lernen.

 

Lehrer:innen auf Augenhöhe

Was mich persönlich beeindruckt hat ist das die Beziehung zu den Lehrer:innen oft viel entspannter ist. Es wird sich geduzt (auf Englisch sowieso), man lacht gemeinsam, diskutiert, ohne Angst, „falsch“ zu sein. Lehrer:innen werden nicht als Autoritäten, sondern als Begleiter:innen gesehen. Das verändert die Lernatmosphäre spürbar. Fehler sind erlaubt, ja sogar erwünscht, weil man daraus lernt.

Ein typischer Schultag beginnt anders als in Deutschland in den english sprachlichen Schulen um 8:00 oder in den französisch sprachlichen um 9 Uhr. Dafür geht er auch länger, bis ca. 15 oder 15:30 Uhr. Nachmittags gibt es oft Clubs oder Aktivitäten wie Sport, Kunst, Naturprojekte, freiwillige Mitarbeit. Es geht nicht nur um Leistung, sondern um soziale Verantwortung und Selbstentfaltung.

 

Pflichtfächer und Wahlfreiheit

In der High School gibt es sogenannte „Core Subjects“  wie Englisch, Mathe, Geschichte, Naturwissenschaften. Aber dazu kommen viele Wahlfächer, die Kinder und Jugendliche selbst aussuchen: Psychologie, Holzarbeiten, Computer Coding, Journalismus, Fotografie oder Outdoor Education. Das eröffnet Möglichkeiten gerade für kreative oder praktische Talente, die im deutschen System manchmal untergehen.

 

Auch für Eltern ein Umdenken

Elternabende heißen oft „Parent-Teacher Interviews“, finden kurz und effizient statt, und das Kind ist meistens dabei. Die Kommunikation läuft viel über E-Mail oder digitale Plattformen. Lehrer:innen melden sich proaktiv, wenn etwas nicht gut läuft, aber sie loben auch sehr bewusst, was gut läuft.

 

Was bedeutet das für Auswanderinnen?

Wenn du Kinder hast, die in Kanada zur Schule gehen werden, kann das eine große Chance sein für mehr Selbstvertrauen, mehr Freude am Lernen, weniger Druck. Aber es braucht auch Geduld mit der Sprache, mit den neuen Strukturen und mit dem Kulturschock.

Viele Kinder blühen auf, besonders die, die in Deutschland eher als „sensibel“, „träge“ oder „zu laut“ galten. In Kanada dürfen sie oft einfach sie selbst sein.

Und auch für Erwachsene, die nochmal studieren oder sich fortbilden wollen, ist das System einladender. Es gibt Community Colleges, flexible Studienmodelle, Angebote für Menschen in jedem Alter.

Kanadas Schulsystem atmet mehr Vertrauen in den Menschen. Es fördert Stärken statt nur Wissen. Es lädt ein zur Entwicklung nicht nur kognitiv, sondern auch menschlich.

Und ja, es ist manchmal chaotischer, weniger „perfekt“ durchgeplant, mit mehr Freiraum, aber auch mehr Eigenverantwortung.

Für viele Kinder ist es nicht nur ein neuer Ort, es ist ein Neuanfang für das eigene Selbstbild.

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